Jeder meiner bisherigen Berlin-Besuche steht unter einem Motto, das sich normalerweise im Laufe des Aufenthaltes findet. Man besucht irgendetwas, sieht irgendjemanden, macht eine Erfahrung und so weiter und so fort. So auch dieses Jahr, als ich am 30. April eigentlich zur re:publica 2012 anreisen wollte. Alles war gebucht, ich fand mit einem unfreiwilligen Zwischenstopp nach dem zweiten Anlauf sogar den richtigen ICE in die richtige Richtung und kam gegen 22 Uhr auch in Berlin an, wo mich mein alter Freund Timo abholte. Ein kurzer Besuch bei einem Schnellimbiss sollte eigentlich danach bei ihm zu Hause in der WG mit einem kühlen Bier zu einem versöhnlichen Abschluss des Tages führen. Allerdings ging es dann erst so richtig los.
Denn kurz vor Mitternacht merkte ich, wie mein Blutdruck einen gewaltigen Sturzflug machte. Ein kurzes Überprüfen mit einem Blutdruckgerät ergab irgendeinen recht niedrigen Wert, vor allem aber einen nicht mehr so richtig messbaren Puls. Das kam mir dann nach etwa 10 Minuten so merkwürdig vor, dass ich mich selbst in das nahegelegende Krankenhaus Waldfriede einlieferte. Und das war auch nicht sonderlich falsch, denn der Rettungsassistent diagnostizierte nach dem ersten EKG einen Puls von über 200 und die diensthabende Ärztin verfrachtete mich in der Notaufnahme auf eine Liege. Dort empfing ich in einer Stunde über zwei eiligst gelegte Zugänge erst einmal drei Spritzen Betablocker, die jedoch allesamt nicht halfen. Mein Herz flatterte munter vor sich hin und wollte sich nicht beruhigen lassen.
Das wurde dann der Ärztin zu bunt und sie empfahl mir, dass sie jetzt einen Notarzt ruft, der mich dann – und hier kommen wir zum Motto – in das Benjamin-Franklin-Klinikum der Charité in Steglitz transportieren würde, wo eine gut ausgestattete Kardiologie weitere Schritte unternehmen könne. Gesagt, getan, nach wenigen Minuten lag ich in einem Rettungswagen und wir fuhren mit Blaulicht und Tatütata nach Steglitz. Bzw. rumpelten dahin, die Erfahrung einer Rettungswagenfahrt muss man nicht machen. Geschüttel, Druck in der Brust, Martinshorn, besorgte Gesichter, Gepiepse und ein leichter Anflug von Panik sind eine ziemlich unangenehme Mischung.
Im Benjamin-Franklin-Klinikum landete ich in der Intensivstation der Kardiologie. Auch hier wurde nochmals Betablocker verabreicht und allerlei Flüssigkeiten, die jedoch ebenfalls alle nicht halfen. In der Zwischenzeit zeigte die Uhr 3 Uhr und der Notarzt kündigte mir in bemerkenswert ruhigen Worten an, dass er jetzt folgendes machen wolle: Eine Kurznarkose von ein paar Minuten und einen kleinen Elektroschock, um meine Pumpe mit einem externen Impuls wieder auf Takt zu bringen. Da mir die fast vier Stunden Flattern schon sichtlich zusetzten und ein Herzflattern gar nicht ganz so ungefährlich ist, weil es auch ganz zügig in gefährliches Kammerflimmern überwechseln kann, stimmte ich dem zu. Fünf Minuten später wachte ich auf und sowohl Puls, als auch Blutdruck waren wieder da, wo sie normalerweise sind. Ich sah als erstes den Notarzt, der auf den Überwachungsmonitor schaute und meinte: „Als ob nichts gewesen wäre.“
Doch, da war was. Und die nächsten 14 Tage bis einschließlich gestern verbrachte ich in Berlin im Benjamin-Franklin-Klinikum, abwechselnd in der Intensiv- und der Normalstation der Kardiologie. Drei Herzkatheter, unendlich viele Blutproben und EKG später bin ich nun seit letzten Donnerstag Besitzer eines so genannten Implantierbaren Kardioverter/Defibrillators (ICD), der nun in meiner Brust ständig und rund um die Uhr darauf aufpasst, ob mein Herz „richtig“ schlägt“ und im Falle des Falles mit entsprechenden Impulsen darauf zu reagieren und wieder den Normalstand einzustellen. Dieser kleine ICD sieht im Röntgenbild, das mir die Charité auf meine Nachfrage hin freundlich zur Verfügung stellte, so aus (Ansicht von vorn):
Wichtig sind die zwei abgehenden Elektroden, die führen nämlich per Vene zu meinem Herzen. Das andere Drahtgedöhns gehört primär nicht dazu, die gehören zu den vorübergehend während der OP aufgeklebten EKG-Pads auf meiner Brust. Die jetzt auf Schulterhöhe eine ca. 5 Zentimeter große, tatsächlich schöne Narbe hat (meine erste Narbe!) und dank diverser Unverträglichkeiten gegenüber EKG-Pads und Pflaster aussieht wie mitten in der Pubertät. Dafür war die ICD-Implantierung eine derart lässige Operation unter lokaler Anästhesie, dass ich sie fast schon in gechillter Atmosphäre in Erinnerung habe, inklusive nettem Plausch mit der Chirurgin.
Der ICD macht tatsächlich die meiste Zeit – nichts. Ich spüre ihn nicht und das aktuell noch vorhandene, leichte Druckgefühl kommt wohl davon, dass der kleine Kollege hinter dem Brustmuskel platziert ist. Wie es sich anfühlen wird, wenn es tatsächlich einmal zum Fall der Fälle kommt und der ICD stimulierend auf mein Herz einwirken muss, wird sich zeigen, wobei dieses hübsche Gerät eine ganze Reihe von Programmen intus hat und sehr individuell therapieren kann. Die Sorge darüber, wie sich das anfühlt, ersetzt jedoch die Sorge, dass ich so eine Show wie vor zwei Wochen nicht mehr wirklich haben möchte. Und schon gar nicht dann, wenn ich nicht zufällig in der Nähe von einer der besten Kliniken zu diesem Thema verweile.
Was war nun los?
Das ist eine spannende Frage, die sich die Charité noch stellt, denn eigentlich ist mein Herz soweit recht gesund. Es pumpt ordentlich, hat eine weitgehend normale Größe und ist in einem alterstypischen Zustand. Was genau die Rhythmusstörungen auslöst, wird nun in den nächsten Wochen anhand der Gewebeproben, die völlig schmerzlos per Katheter gezogen wurden, untersucht.
Zumindest ist es nichts akutes, so dass ich gestern, vier Tage nach Einsetzen des ICD, schon wieder entlassen wurde und inzwischen auch wieder in Pforzheim am Tisch sitze und blogge. Der Rest wird sich zeigen.
Privatsphäre? Warum so offen?
Das ist übrigens eine Frage, die mir ein Arzt stellte, als ich ihn um Röntgenbilder bat. Die habe ich ihm folgendermaßen beantwortet:
So ein Gerät kann ich zwar verheimlichen, seine Wirkung jedoch im Ernstfall nicht verstecken. Dazu kommt, dass ich meinem Freundeskreis an dieser Stelle nichts zu verheimlichen habe, so wie es beispielsweise viele Diabetiker ebenfalls tun. Meine Krankenversicherung weiß dank der gewaltigen Rechnung, die da kommen wird, ebenfalls Bescheid und allen anderen Versicherungen muss ich vor einem eventuellen Abschluss eines relevanten Vertrages sowieso Auskunft geben. So what?
Viele Menschen haben Herzstolpern und in den allermeisten Fällen ist dieses Stolpern auch ungefährlich und bleibt folgenlos. Es ist jedoch immer sehr sinnvoll, alle atypischen Herzrhythmusstörungen untersuchen zu lassen. Das ist oftmals komplett schmerzlos und selbst eine Herzkatheteruntersuchung ist kein großer Eingriff.
Aber: Geht zum Arzt, wenn euch irgendetwas an eurem Herz (oder natürlich auch sonstwo in eurem Körper) nicht gefällt. Ein EKG ist sehr schnell gemacht, aus Symptomen können Ärzte eingrenzen, ob man weiter untersuchen sollte und das Risiko, dass etwas passiert, ist schon deutlich kleiner. Und wenn euch danach ein Stein vom Herzen fällt, wisst ihr auch, warum die Redewendung genau so lautet.
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