Zum Obergenossen Sigmar Gabriel habe ich eine relativ deutliche Haltung: Ich mag Sigmar nicht. Rhetorisch nicht ganz auf die Nase gefallen, als Minister zu dröge, als Parteichef eine glatte Fehlbesetzung. Parteichef heißt, Impulse suchen, Orientierung schaffen und Richtung vorgeben und zwar niemals selbst, sondern immer durch das Spitzenpersonal, während der Parteichef die Fäden in der Hand hält. Sigmar Gabriel hält wenig in der Hand und wenn er zur rechten Zeit nicht so ziemlich der einzige Kandidat am rechten Ort gewesen wäre, wäre er auch nicht Parteivorsitzender der SPD geworden. Impulse geben zur Zeit andere Parteien und wenn diese nicht so schlecht wären, wie sie sind, ginge es der SPD richtig dreckig. So einfach ist das.
Wäre man als SPD-Parteichef ein Visionär im Formate eines Willy Brandt (der übrigens auch mal in Norwegen lebte), hätte man als Vorsitzender einer sozialdemokratischen Partei vermutlich das gemacht, was Jens Stoltenberg, Ministerpräsident von Norwegen und Chef der sozialdemokratischen Arbeiterpartei Norwegens, gerade in seinem Land als Reaktion auf die Anschläge vorgibt: Respekt, Ruhe, Entschlossenheit, Überlegenheit.
Das geht bei uns in Deutschland natürlich so auf gar keinen Fall.
Bei uns hängt offenkundig selbst die akkurate Versorgung der Bevölkerung mit Frühstücksbrötchen eminent davon ab, ob Verkehrsdaten in der Telekommunikation bis auf alle Ewigkeiten gespeichert werden dürfen. Darf der Staat das nicht wieder, dann gibt es sicherlich keine Brötchen mehr, die Ampelanlagen werden alle ausgeschaltet werden müssen, alle Häuser müssen abgerissen werden und Leberwurst gibt es dann, ganz sicher, auch keine mehr.
Ja, ich tue Genossen Sigmar sicherlich unrecht, wenn ich in in einem Blog-Artikel mit so Politgranaten wie Hans-Peter Uhl nenne, innenpolitischer Sprecher der Unionsfraktion, dessen einzige Aufgabe darin besteht, schrill aufzuschreien wie eine Heulboje, wenn irgendwo auf dem Planeten ein Irrer zur Waffe greift und schlachten geht wie ein Berserker. Und das tun täglich erschreckend viele. Allerdings selten in Norwegen und noch viel seltener in Deutschland.
Dennoch – wäre Sigmar Gabriel ein Parteichef von Format, würde er andere Dinge sagen, als zum Beispiel solche:
“Gelegentlich werden Hetze, Beleidigungen oder gar Bedrohungen als eine Art Folklore hingenommen. Hier haben die Nutzer des Internets eine Verantwortung dafür, dass solche Dinge zur Anzeige gebracht werden.”
Wir lernen: Ich habe als Nutzer des Internets Verantwortung dafür, dass Hetze, Beleidigung oder gar Bedrohungen im Internet nicht als eine Art Folklore hingenommen werden darf und zur Anzeige gebracht werden muss. Ich. Also ich, der höchstwahrscheinlich nicht verantwortlich für Hetze, Beleidigung und Bedrohung ist und der in den allermeisten Fällen auch nicht Opfer. Verantwortung übernehmen für wen? Vielleicht für andere? Über andere?
Wenn ich jeden seltsamen Mist im Web, der mich stören könnte (!), zur Anzeige bringen wollte, könnte ich ohne Probleme den gesamten Polizeiapparat in Pforzheim permanent damit beschäftigen und es käme am Ende heraus: Nichts. Mist bleibt Mist, Durchgeknallte bleiben auch weiterhin Durchgeknallte, Ersttäter wird es auch dann immer noch geben und weiterhin werden immer noch erschreckend viele Menschen deutlich häufiger zu Hause bei der Hausarbeit tödlich verunglücken, als bei einem Bombenanschlag, der vielleicht durch irgendeine Vorratsdatenhaltung zwar nicht aufgehalten werden konnte, aber wir zumindest nach 20 Sekunden genau wissen, welche Unterhosengröße der Terrorist hatte.
Das Leben ist verbunden mit einem gewissen Lebensrisiko. Das ist in einigen Ländern und Gebieten ein ziemlich hohes Risiko, aber genau hier, in Deutschland, fast schon ungerecht gering. Mit Respekt, Ruhe, Entschlossenheit und Überlegenheit kommt man hier weiter als mit einem Heulbojentum und Forderungen nach angeblich noch stärker auszuprägenden gesellschaftlicher Verantwortung, die letztendlich am Ende doch nur in einer noch stärkeren staatlichen Überwachung ausartet.
Schreibe einen Kommentar