Das Anzeigenblatt als Sargnagel der Tageszeitung.

Wer im Raum Pforzheim auf seinem Briefkasten kein Verbot für den Einwurf von Werbung kleben hat, durfte an diesem Wochenende einen Neuzugang in Sachen Totholz-Publishing empfangen und ein neues Anzeigenblatt namens „Pforzheimer Woche“ bewundern. Ein gar nicht so dünnes Blatt mit zwei Heften, das eine genauere Betrachtung verdient. Es ist nämlich ein hochinteressantes Anzeigenblatt, obwohl es eigentlich einen Informationsgehalt von nahe Null hat.

Nahblick in die „Pforzheimer Woche“

Das Blatt stammt aus dem Mutterhaus der „Pforzheimer Zeitung“, dem Noch-Lokalmatador in Sachen Lokalzeitung. Und allein schon deshalb ist die „Pforzheimer Woche“ auf den ersten Blick ein Anachronismus, denn aus dem gleichen Verlag erscheint schon jeden Donnerstag ein Anzeigenblatt namens „PZ-Extra“, das deutlich umfangreicher ist.

Schaut man sich die „Pforzheimer Woche“ näher an, konkretisiert sich der Eindruck in Sachen „Anzeigenblatt“ in praktisch allen Kernpunkten, die eine Zeitung ausmachen:

  • Der „Nachrichtenteil“ beschränkt sich auf jeweils drei halbe Seiten, die jeweils mit einem Agenturtext inklusive Agenturbild gefüllt sind. Netterweise wird der Hinweis auf die Agentursherkunft „vergessen“, stattdessen wird der Korrespondent benannt und mit dem Standorthinweis Berlin. So kann man es natürlich auch machen.
  • Im ersten Heft des Blattes findet sich ein Immobilien- und ein Kfz-Teil, sowie die Kleinanzeigen. Zumindest letztere sind identisch mit den Anzeigen in der Samstagsausgabe der Pforzheimer Zeitung. Das zweite Blatt ist vollständig dem Stellenmarkt gewidmet und enthält ab Seite 2 Stellenanzeigen, ebenfalls zu einem großen Teil der Inhalt, der auch in der Samstagsausgabe der Pforzheimer Zeitung erscheint.
  • Anzeigen in der „Pforzheimer Woche“ sind nur mit einer regulären Anzeige in der „Pforzheimer Zeitung“ möglich.
  • Im Impressum findet sich keine Redaktion und kein einziger aufgezählter Redakteur.
  • Es gibt – zumindest derzeit – keine offzielle IVW-Auflagenzählung, die Selbstangabe von einer Auflagenzahl von 125.000 ist mit der gebotenen Vorsicht zu genießen.

Der Untergang der Zeitungsanzeigen

Schon allein aus diesen Kernpunkten ist der Sinn und Unsinn der „Pforzheimer Woche“ weitgehend klar und es zeichnet sich der Teufelskreis ab, in den vor einigen Jahren schon der Zeitungsmarkt in den USA heftigst gezogen wurde und eine Reihe von Zeitungen hat eingehen lassen:

  1. Die Zahl der Abonnenten und Verkäufe sinkt, ebenso demnach die Auflagenzahlen und damit die Reichweite.
  2. Fehlende Verkaufserlöse müssen durch steigende Anzeigenpreise aufgefangen werden.
  3. Es werden weniger Anzeigen geschaltet.
  4. Sinkende Verkaufs- und Anzeigenerlöse sorgen für noch weniger Einnahmen und haben Einsparungen und Personalabbau zur Folge.
  5. Weniger Personal kann auch nur deutlich weniger uniquen Inhalt machen = Teufelskreis, der bei Punkt 1 wieder beginnt.

Mit der „Pforzheimer Woche“ scheint man also das zu machen, was immer noch am einfachsten aus dem Blick eines traditionellen Papierbedruckers scheint: Reichweite aufzufangen, die durch das Bezahlblatt verlorengeht. Und das ist ein böses Vabanque-Spiel, weil es der Konkurrenz in die Hände spielt.

Denn die zweite, große Tageszeitung in Pforzheim, der „Pforzheimer Kurier“, spielt im hiesigen Anzeigenmarkt quasi gar nicht mit, was am Naturell des Blattes liegt. Sie ist nur eine Lokalausgabe der „Badischen Neuesten Nachrichten“ und hat in der Pforzheimer Lokalausgabe mit einer derzeitigen Auflage von etwa 4.500 Exemplaren gerade mal etwas über 10 % von dem, was aktuell die Pforzheimer Zeitung aus ihren Druckerpressen wirft.

Während der Lokalteil des „Pforzheimer Kuriers“ in den letzten Monaten sichtbar an Qualität gewonnen hat, leidet die Qualität des Blattes immer noch darunter, dass es relativ wenig Anzeigen aus Wirtschaft, Stellenmarkt und Kleinanzeigenbereich gibt. Es fehlt dem Kurier-Leser nicht wirklich (immerhin ist das Abo rund 10 % günstiger, als das der großen Konkurrenz), aber es wäre eigentlich nicht schlecht, wenn es das auch noch gäbe, weil diese Teile einen großen Teil des lokalen Informationswesens ausmachen. Und mit der „Pforzheimer Woche“ kommen diese Teile nun samstags kostenlos von der Konkurrenz daher und ergänzen den „Pforzheimer Kuriers“ ironischerweise fast ideal.

Willkommen in der nächsten Stufe der Zeitungskrise

Und diese nächste Stufe muss man gar nicht mehr ankündigen, die „Pforzheimer Woche“ ist das Ergebnis dieser Stufe. Es geht in Sachen papierne Zeitung ums Eingemachte. Und das, was ich mal vor über zwei Jahren skizziert hatte, tritt nun ein. Es wird eng und eigentlich ist die letzte Gelegenheit, einen fast schon unmenschlich Akt zu vollbringen und die Veröffentlichungsstrategie zum schnellstmöglichen Zeitpunkt auf Online zu schwenken, schon fast verpasst.

Denn wer glaubt, die Pforzheimer Zeitung hätte sich im Internet schon ein veritables und festes Standbein geschaffen, irrt auch hier. Auch hier sind seit einigen Monaten die Zugriffszahlen im Abwärtstrend, allenfalls stagniert es. Käme man hier endlich mal zur Erkenntnis, die Leser der Website nicht nur mit Dünnschiss-Nachrichten abzuspeisen, sondern eben mit zumindest einem größeren Teil des echten Contents, dann könnte man hier zumindest einen Teil der Reichweite herüberretten, der im Printbereich verlorengeht.

Könnte. Wenn man wollte. Aber das glaube ich inzwischen nicht mehr.


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