Dass Google irgendwann im Laufe des Jahrhunderts auch in Deutschland StreetView starten würde, war so klar wie Kloßbrühe. Niemand, aber auch wirklich niemand hatte eine Grundlage, zu glauben, dass Google seine Opel Astras mit dem markanten Aufbau nur zum Spaß durch die Republik rollt.
Wir alle wissen also Bescheid, was Google da tut. Und das schon seit weit über einem Jahr. Und wie man liest, wussten auch die formell zuständigen Ministerien für Justiz, Verbraucherschutz und das Innenministerium vorab, dass Google plant, noch im Sommer StreetView offiziell zu starten. Auch wenn es absehbar war – es ist formell aktenkundig und das wohl nicht erst seit gestern Nachmittag.
Unsere jetzige schwarz-gelbe Bundesregierung hätte also alle Welt dieser Zeit gehabt – wenn sie denn politisch handlungsfähig wäre – sich um das Thema StreetView mit aller Ruhe zu kümmern, rechtliche Bedenken auszuloten und einen vernünftigen Handlungsrahmen abzustecken.
Hat sie aber nicht. Und nein, nicht nur das: Die zuständige Ministerin, Bundesverbraucherministerin Ilse Aigner, weitgehend inkompetent in allen Belangen ihres Amtes, Quotenfrau der CSU und ausgewiesene Fachfrau für rhetorische Schüsse in den Ofen, nutzt wie immer das Thema Internet für einen unnachahmlichen Tritt in das nächste Fettnäpfchen, in dem sie anstatt einer Regelung, wie man als Bundesregierung gedenkt, mit dem Thema Google StreetView umzugehen, in faszinierender Idiotie verkündet, dass sie in StreetView ihr Haus verpixeln lasse. Und ich werde mir im nächsten Monat ein neues Paar Schuhe kaufen, aber nicht sagen, welche Marke.
Das ist aber alles nur eine Seite der Medaille. Dass Ilse Aigner einen rhetorischen Elfmeter nur dann trifft, wenn man ihr den Ball auf die Schuhspitze schraubt und sie ins Tor stellt, dürfte inzwischen jedem klar sein. Dass aber die Regierung über den Einführungsplan von StreetView informiert war, lässt auf eine bei Angela Merkel bewährte politische Vorgehensweise schließen, die auch hier wieder zur Anwendung kommt: Problem erst einmal eskalieren lassen und dann Aktionismus vorgaukeln. Das war bei Angela Merkel zwar noch nie wirklich überzeugend, aber es hat ihr offensichtlich auch noch niemand gesagt.
Wir dürfen also gespannt sein, was für ein politisches Drama in den nächsten Wochen auf uns zukommen wird und wie die „neuen Datenschutzgesetze“ aussehen werden, die man jetzt hastig verspricht. Dass solche „neuen Datenschutzgesetze“ von einer schwarz-gelben Bundesregierung besonders verbraucherfreundlich sein könnten, darf getrost ausgeschlossen werden.
Das Thema Privacy und StreetView
Aber brauchen wir tatsächlich „neue Datenschutzgesetze“? Findet die Privatsphäre eines jeden von uns tatsächlich auf der Straße statt und kann diese tatsächlich verletzt werden durch Fotos, auf denen Gesichter unkenntlich gemacht sind und auf denen man eher weniger sieht, als wenn man selbst in der jeweiligen Straße steht und noch nicht mal Fernglas oder Kamera einsetzt?
Nein, kann man glücklicherweise nicht, denn mit welchem Recht dieses Landes wollen wir es uns verbieten lassen, auf öffentlichen Straßen Häuser anzuschauen und diese möglicherweise auch zu fotografieren? Niemand (na gut, vielleicht die Piratenpartei…) käme auf die Idee, in einem Fußballstadion das Fotografieren zu verbieten, um die Privatsphäre anderer Besucher zu schützen. Eine Öffentlichkeit findet statt und eine Öffentlichkeit muss stattfinden dürfen, um Privatsphäre überhaupt erst definieren zu können.
Mir missfallen in der inzwischen rettungslos schrill geführten Diskussionen einige Argumente von Datenschützern, die weitgehend an den Haaren herbeigezogen sind. Sicherlich gilt es, Daten und Privatsphären zu schützen, völlig losgelöst von der Frage, ob das nun der Kommerz tut, oder der Staat. Es gilt aber, jeglichen Schutzbedarf immer an Maßstäben des heute technisch Machbaren und Unsinnigen zu messen. Vorurteile über Arm- und Reichtum haben sich schon immer an den äußeren Gemäuern eines Gebäudes bilden können. Früher musste man hinfahren, mit Google StreetView sieht man es eben ein paar Mausklicks eher. Das Vorurteil wird dadurch weder besser, noch schlechter. Und wenn jeder die gleichen Werkzeuge hat, hilft das am ehesten, die Idiotie hinter dem Vorurteil zu behandeln.
Es gibt nichts, was an Google StreetView schlecht ist
Nichts, aber auch rein gar nichts. Straßenzüge wurden schon vor Google systematisch abfotografiert und auch schon in Form eines erweiterten Telefonbuches veröffentlicht. Es ist nicht aktenkundig geworden, dass daran jemand gestorben ist oder die Kriminalitätsraten gestiegen sind.
Ganz das Gegenteil wird der Fall sein: Es wird spannend sein, zu sehen, wie es in Städten, in denen man einmal war oder in die man gern einmal hinfahren möchte, aussieht. Eine virtuelle Reise durch San Francisco, Bummeln durch Barcelona oder an der Strandpromenade von Miami. Gibt es da draußen tatsächlich Leute, die glauben, dass es Leute gibt, die sich nachhaltig ausgerechnet für ihre Hütte interessieren und per StreetView die Location auskundschaften?
In Wirklichkeit quält die meisten Kritiker von StreetView wieder einmal nur das altbekannte Problem, mit dem man sich unabhängig jeglicher weltpolitische Situation vortrefflich beschäftigen kann: Saß mein Gartenzwerg an der richtigen Stelle, als der StreetView-Astra vorbeifuhr und was werden meine Nachbarn sagen, wenn nicht?
Niemand wird nach dem Start von Google StreetView mehr schreien, sondern staunen. Über die faszinierende Welt außerhalb des eigenen Gartenzaunes und über die Nichtigkeit der eigenen, kleinen Welt. Und natürlich über die Hässlichkeit der eigenen Gartenzwerge (wobei das natürlich niemals öffentlich). Geben wir uns eine Chance, uns zu bereichern und nicht von anderen sagen zu lassen, was bereicherungswert ist und was nicht.
Schreibe einen Kommentar