Wir Leute, die wir uns für gewöhnlich als “Digitale Native” sehen, also Menschen, die ein ausgeprägtes Kommunikationsbedürfnis an den Tag legen, verstehen uns gern als sehr aufgeklärte und abgeklärte Menschen in der Gesellschaft, die sehr wenig mit so Dingen wie Rassismus anfangen können. Und das hat auch Programm, denn für die meisten von uns ist es überhaupt kein Thema, Bekannte, Freunde und Geschäftskollegen in aller Welt zu haben, mit allen sprachlichen, nationalen und religiösen Hintergründen. Für die meisten von uns ist das kein Problem, sondern ein Grundeigenschaft unseres Online-Daseins und des normalen Lebens, die wir nicht zuletzt durch das Internet gelernt haben.
Sind es am Anfang einer Technologie noch eher hochgebildete Menschen, die sich der Technologie annehmen, steigt der Anteil der “normalen” Menschen im Laufe der Zeit mit der Zahl der Anwender, die einen normalen oder schon eher unterbemittelten Intellekt mitbringen. Zu dem Mainstream gehören dann unter anderem auch das Klientel der Menschen, die andere Menschen schon deshalb nicht leiden können, weil sie einen Höcker in der Nase haben.
Grundtenor ist, dass Rassisten und Nationalisten kaum einen Fuß in ein Medium oder Forum bekommen, in denen Digital Natives diskutieren – sie kommen schlicht und einfach nicht an mit ihren platten Thesen. Schnell sind solche Diskutanten erkannt und abgekanzelt und selbst diejenigen, mit denen man als Migrant die heftigsten Diskussionen hat, kennen bei einer Sache überhaupt keinen Spaß, nämlich bei rassistischem Gedankengut. Mit Protektionismus hat das überhaupt nichts zu tun, das ist eine Grundhaltung.
Worauf wir Digital Natives möglicherweise gar nicht gedacht haben, ist der Umstand, dass der Mainstream Foren bevölkert, für die wir uns viel zu erwachsen fühlen. Während es nämlich für Rassisten bis dato eher schwierig war, Online-Foren zu finden, die zum einen von Digital Natives verschmäht werden, zum anderen aber genügend Reichweite bieten, so hat sich das geändert. Und die Anbieter sind ausgerechnet auch noch die, die eh schon ein Problem mit dem Internet haben: Die Zeitungen und hier insbesondere Regionalzeitungen.
Beispiel 1: Die Pforzheimer Zeitung, weil es so naheliegt und weil ich schon vor über einem Jahr die Missstände anmerkte. Hier ist es so, dass das Redaktionssystem es ermöglicht, dass jeder redaktionelle Artikel im Grundzustand die Möglichkeit bietet, von Lesern kommentiert zu werden. Der erste Kommentar startet dann im separaten Online-Forum einen Thread aus, in dem dann wiederum andere Leser diskutieren können.
Das lässt sich natürlich erst einmal gut als Argument für Meinungsfreiheit verkaufen. Und das lässt sich dann natürlich auch sehr gut monetär vermarkten, denn Online-Foren erzeugen, wenn sie “flutschen”, Klickraten, dass einem Hören und Sehen vergeht und die mit ziemlicher Sicherheit einen großen Teil der Zugriffszahlen so mancher Regionalzeitung ausmachen.
Der Teufel liegt jedoch im Detail und hier ganz und gar in tumorösen Strukturen: Stetig befeuert werden solche Online-Foren nämlich durch das, was die Zeitung schreibt und das muss heutzutage blutig und heftig sein. Das bekommt man für gewöhnlich als Zeitung weitgehend frei ins Haus, nämlich in Form der Presseverteilers der hiesigen Polizei, des Amtsgerichts und von anderen Behörden. Wer die heute bekommt, weiß weitgehend schon, wie der Lokalteil der Regionalzeitung von morgen aussehen wird und was vorab als Aufmacher auf der Homepage landet.
Pressemitteilungen über Straftaten, die in irgendeiner Form einen Integrations- oder Migrationshintergrund haben, sind hierbei ein gefundenes Fressen für Rassisten, die das dann sogleich ausschlachten und Pseudo-Diskussionen auslösen, die eine gewisse Grundstimmung erzeugen sollen. Ich verzichte auf Zitate und verweise auf drei originale und aktuelle Threads im Online-Forum der Pforzheimer Zeitung:
- Jungen Mann ausgeraubt und zusammengetreten
- Antisemitische Hetze gegen Schüler bleibt straffrei
- 16-Jähriger von Jugendlichen bewusstlos geschlagen
Es gehört zu den bewährten Maschen von Sektierern, diffuse Grundstimmungen über vermeintliche Ungerechtigkeiten zu erzeugen. Das macht man mit Stilmittel, in denen man Dinge behauptet, die oftmals nachweislich nicht stimmen, jedoch nur mit einer gewissen Arbeit zu widerlegen sind und irgendwann auch von Nicht-Meinungsführern ungefragt als Tatsache hingenommen werden. Das, was keine vernünftig denkende Redaktion in ihrer Tageszeitung im Leserbriefteil als Meinungsäußerung hinnehmen würde, passiert tagtäglich in Online-Foren von Tageszeitungen und wird nur sehr halbherzig moderiert, offensichtlich weitgehend nur dann, wenn jemand einen Artikel meldet.
Dass die Sektiererei irgendwann gut funktioniert, wenn man als Forenmoderator nicht von Anfang an die Zügel in der Hand hält, zeigt sich, wenn es um eher harmlose Themen geht und die dann immer häufiger in stereotypische Diskussionen abdriften. Auch hier ein Beispiel:
Mit ziemlicher Sicherheit ist mehr oder weniger latent auftretender Rassismus kein Problem, das nur in Pforzheim auftritt. Es ist aber zumindest ein Problem, das in weniger gut gepflegten oder vermeintlich besonders der Meinungsfreiheit verschriebenen Online-Foren deutlicher in Erscheinung tritt, als in vergleichbaren Online-Foren anderer Zeitungen – und das auch anderswo so passiert, hier in meinem Beispiel Nummer 2 bei der Nordsee-Zeitung aus Bremerhaven:
- Raserei in der Nachbarschaft (nach unten blättern, Kommentare sind absteigend sortiert)
Andere Zeitungen (deren Namen ich hier nicht nenne) haben nach eigener Aussage das Thema Online-Forum nach einiger Zeit des Experimentierens unter anderem wegen ähnlicher Erfahrungen aufgegeben. Das Aufkommen an zu moderierenden Artikeln beschäftigte mitunter einen Mitarbeiter fast einen halben Tag, in einem Fall führten verhetzerische Leserkommentare in einem schlecht moderierten Online-Forum zu einem Verfahren wegen dem Tatbestand der Volksverhetzung, in das die betreffende Zeitung aufgrund einer Mitstörerhaftung verwickelt wurde.
Es kommt allerdings noch ein Problem hinzu, das für unsere Medienlandschaft zu einem immer größeren Problem wird: Über alles Unangenehme dieses Planeten schreibt eine Zeitung, nur über sich selbst nicht. Und das führt dann zur Entwicklung solcher höchst infektiösen Milieus, über die man sich zweifellos ärgern kann, aber die Allgemeinheit nur äußerst schwer erreicht. Lösung: Graswurzeljournalismus.
Deshalb gilt: Hier müssen wir aufpassen und dringend darüber reden. Einige Zeitungen sind sich offensichtlich ihrer publizistischen Verantwortung im Internet haarsträubend wenig bewusst und hosten in ihrem direkten Verantwortungsgebiet eine brandgefährliche Stimmung, die sie in Kauf zu nehmen scheinen. Wir dürfen keinesfalls einfach so zuschauen, wie Regionalzeitungen, die sich immer, trotz der prekären Krise im Zeitungsgeschäft, noch als regionale Medienmacht sehen, durch publizistische Verantwortungslosigkeit, Schlamperei und mutmaßlich auch durch reine Profitgier jegliche gute Erziehung über Bord werfen.
Das heißt für uns alle: Schauen, was die Tageszeitung online so treibt und öffentlich anprangern! Dazu haben wir Blogger Weblogs, Trackbacks, Twitter und Facebook.
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