iPad, Zeitungen und ein paar Erfahrungen mit der älteren Generation.

Vor vier Wochen kam ich auf die fatale Idee, im iPad-AppStore nachzuschauen, was es denn dort an türkischen Zeitungen so gibt. Gefunden habe ich unter anderem die Hürriyet, das ist die Tageszeitung, die mein Vater seit Jahrzehnten täglich kauft und liest. Der Fehler bestand darin, das meinem Vater zu zeigen, mit dem Hinweis, dass die iPad-Version (vorerst) nichts kostet.

Seitdem sehe ich mein iPad nur noch dann, wenn die Batterie leer ist und die leert mein Vater problemlos in drei Tagen. Mein Vater, dessen jahrelange Abneigung gegen Computer darin bestand, dass er es für komplette Verblödung hält, mehr als zehn Minuten in einen Computerbildschirm zu schauen, schaut nun problemlos drei Stunden am Stück (!) ins iPad zum Zeitunglesen. Das alles hat eine Reihe von Nebenwirkungen, die ich mal punktweise als Erfahrungssplitter aufführen möchte. Wir Onliner tun uns ja bekanntlicherweise etwas schwer damit, die Leute „da draußen“ zu verstehen:

  • Die Hürriyet macht es verhältnismäßig einfach: Der Verlag hat eine App gebaut, die die jeweils aktuelle Ausgabe in voller Gänze einbindet. Man hat also, ähnlich wie eine PDF-Datei, die gesamte Zeitung und kann in sie hineinzoomen. Das heften wir „Digital Natives“ vielleicht als „old school“ ab, für so Herrschaften wie mein inzwischen siebzigjähriger Vater ist das die einfachste Art, die Zeitung zu lesen.
  • Weiterhin macht der Verlag einen weitere, clevere Geschichte: Die Hürriyet gibt es nämlich in verschiedenen Ausgaben und die sind allesamt in der iPad-App verfügbar. In der Türkei gibt es diverse Regionalausgaben, für Europa zudem eine europäische Version. Da mein Vater sich vor allem für die türkische Innenpolitik interessiert, ist die türkische Ausgabe die interessantere für ihn.
  • Einen auf diese Weise zeitunglesenden Menschen für das Web zu begeistern, ist übrigens ein hoffnungsloses Unterfangen. Selbst der Hinweis darauf, dass er mit einigen extra von mir auf den Home-Screen positionierten Web-Apps auf Websites wie z.B. eben Hürriyet Online oder gar auf mein Blog käme, verhallt. Alles uninteressant. Der Zeitungsleser liest auf dem iPad eben seine Zeitung.
  • Ein Nebeneffekt: Mein Vater liest keine Bild-Zeitung mehr. Die kaufte er zwar auch schon seit Jahrzehnten, aber die war nur das „Anhängsel“ zur Hürriyet. Wird die Hürriyet nicht gekauft, wird auch die Bild-Zeitung nicht mehr eingeholt. Dass es die Bild-Zeitung als App gibt, interessierte meinen Vater spätestens dann nicht mehr, als ich ihm mitteilte, dass das aber Geld kostet.
  • Die spannende Frage: Würde mein Vater die Hürriyet auch weiterhin auf dem iPad lesen, wenn sie Geld kosten würde? Auf die Frage weiß er akut keine Antwort, was eigentlich kein so wirklich gutes Zeichen ist, denn so zieht offenbar die elektronische Version gar nicht so sehr, wie man sich möglicherweise von Verlagsseite erhofft. Dass man die Zeitung so schon frühmorgens lesen kann, das ist gar nicht so sehr das Killerargument für ihn. Und die Frage, dass ein iPad ja richtig Schotter kostet und das Internet ja nicht einfach so in der Luft liegt, wie es den Anschein macht, ist da auch noch nicht beantwortet. Wer das Internet an sich kaum benutzt, sondern nur Zeitung lesen möchte, zahlt so massiv drauf, dass selbst die elektronische Zeitung als Geschenk ein teurer Spaß bleibt.
  • Multimediale Werbung in der elektronischen Zeitung ist meinem Vater bisher gar nicht aufgefallen, obwohl die Hürriyet da durchaus fortschrittlich Rich-Media-Anzeigen einbettet, beispielsweise Videosequenzen. Die sind alle durch ein Wiedergabesymbol gekennzeichnet und ich habe das meinem Vater auch mal gezeigt, aber empfänglich ist er dafür noch nicht mal ansatzweise.
Ein paar niedliche Nebeneffekte:
  • Früher „hörte“ man meinen Vater beim Zeitunglesen, nämlich am Papierrascheln. Heute muss man tatsächlich nachschauen, was er treibt.
  • Mein Vater musste sich abgewöhnen, sich ständig beim Zeitunglesen an die Stirn zu fassen. Stirn hat naturgemäß Fett und wenn man da herumpult, bekommt man fettige Finger und fettige Finger sorgen dafür, dass man den Touchscreen alle halbe Stunde putzen darf. 😉
  • Für „technische Unzulänglichkeiten“ hat mein Vater kaum Verständnis. Wie, der Akku ist nach doch schon 11 Stunden Dauerbetrieb leer? Wie erkennt man das? Am „Flaschensymbol“ (das Batteriesymbol…)? Warum funktioniert das Laden der Zeitung nicht, wenn das Haus wegen vorübergehenden Arbeiten an der Spannungsversorgung ohne Strom ist (das zum Thema: „Das Internet kommt aus der Luft“). Das iPad hat schon eine hohe Idiotensicherheit, aber es gibt für Hersteller von Tablets noch viel, viel zu tun. Die Leute, von denen man noch lernen könnte, was noch fehlt, die haben meist noch keines.

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Kommentare

Eine Antwort zu „iPad, Zeitungen und ein paar Erfahrungen mit der älteren Generation.“

  1. […] und mit einigen türkischsprachigen Nachrichten-Apps ausgestattet. Wichtig ist natürlich das Hürriyet-ePaper, das wir nun dank einem neuen iPad nochmal drei Monate kostenlos bekommen. Immerhin kostet danach […]

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