Einer der gleichzeitig interessantesten und dennoch von mir etwas gefürchteten Aktivitäten in diesem Jahr war etwas, was ich lange Zeit vor mir hergeschoben habe. Genau genommen fast 18 Jahre (mit einer kleinen Ausnahme 2005) – der Besuch bei meiner allerersten beruflichen Wirkungsstätte, dem ZDF in Mainz. Im Sommer ergab es sich kurzfristig, dass mein guter Freund Timo Gerstel für sich und seine Kids Plätze einer Besucherführung ergattert hatte und fragte mich kurzerhand, ob ich nicht mitkommen wolle.
Nun war das so eine Sache: Obwohl ich ja eigentlich nur drei Jahre beim ZDF arbeitete (dafür allerdings sehr intensiv viel als Kameraassistent), hatte ich nach 1998 schon eine ganze Weile gezahnt, als ich die Branche gewechselt hatte. Kapitän Jürgen Schwandt hatte es mal vortrefflich einer Zeitung diktiert:
Auf den Weltmeeren erlebte Schwandt noch unzählige Stürme, 1966 wurde er mit 30 Jahren Kapitän der „Ludwigsburg“. Fünf Jahre später heiratete er. Für seine Frau Gerlinde traf er eine der schwierigsten Entscheidungen seines Lebens: Er trat eine Stelle beim Zoll an. An Land. „Die ersten zwei Jahre war ich todunglücklich. Ich hatte mein Seefahrtsbuch oben auf in der Schublade liegen und den Seesack gepackt. Ich hätte jeden Tag wieder losfahren können.“ Zwei Mal sei er ganz kurz davor gewesen, aber er blieb an Land.
Todunglücklich war ich zwar nicht gerade, aber dieses Gefühl, auf dem gepackten Rucksack zu sitzen und jederzeit wieder losgehen zu können, das kenne ich seitdem sehr gut. Und darum machte ich anfangs auch einen recht großen Bogen um Fernsehanstalten und vermied es auch, viel darüber nachzudenken, obwohl es hin und wieder mal Einladungen zu Kollegentreffen und Studiofeiern gab. Und irgendwann war es dann auch eingeschlafen, diese seltsame Sehnsucht nach einer alten Zeit, bei der ich weiß, dass es sie schon lange nicht mehr gibt.
Der Besuch.
Also gut, im August war es dann soweit. Die Sehnsucht war und ist nicht mehr da, aber so eine gewisse Spannung konnte ich nicht verleugnen. Immerhin war es eine echte, tief sitzende Freude, dass ich zu meinem alten Arbeitgeber witzigerweise mit einem meiner besten Kunden und seiner Familie hinkomme, dessen Corporate Blog ich betreue und bei der Redaktionsarbeit auf viele Erfahrungen zurückgreifen kann, die ich eben beim ZDF gelernt habe. Und zu all der Ironie kam dann auch noch, dass das erste Auto, was wir auf dem ZDF-Gelände gesehen habe, exakt mein Opel Adam war. Alle Kreise schließen sich irgendwann, aber die beste Mini-Geschichte zu der Phrase gibt es ganz am Ende dieses Artikels als Bonus.
Jedenfalls: Es ist beim ZDF tatsächlich nicht mehr viel so, wie ich es einst kennengelernt hatte. Es arbeiten deutlich weniger Menschen in der Technik, was sich vor allem in den Studios, von denen wir das Studio 2 und das Studio 3 (das „Sportstudio“) anschauen durften. Die Lichtsteuerung erfolgt heutzutage komplett via EDV, so dass nach dem Einbau der Kulisse in der Regel nur noch ein Lichttechniker angewackelt kommt, der lediglich das Lichtprogramm lädt und dann alle Scheinwerfer bei ihrem Gang in die einst einprogrammierte Position beobachtet. Das ist schon herb: Zu meiner Zeit standen tagsüber noch mindestens 15, 20 Menschen, die alle möglichen Arbeiten im Studio verrichtet hatten. Heute steht nur noch einer da.
Ebenso ambivalent war der Blick in einen Regieraum, witzigerweise genau der, in dem ich einst gelernt hatte, wie die Blende der E-Kameras zu steuern war. Nichts ist dort mehr so, wie es damals war. Es arbeiten hier wiederum viel mehr Leute, wenn der Raum voll belegt ist. Allerdings: Es gibt nicht mehr das halbe Dutzend Regieräume, sondern allenfalls die Hälfte davon, zumindest im eigentlichen ZDF-Sendezentrum (3sat und die digitalen Spartensender werden im Sendezentrum 2 gegenüber produziert).
Wie Fernsehen heute produziert wird.
All diese Eindrücke, die vor allem mir auffielen und weniger den restlichen Besuchern, sind Ergebnis dessen, was in den letzten 20 Jahren im öffentlich-rechtlichen Fernsehen passiert ist:
- Immer mehr bis dato hauseigen produzierte Programmformate wurden entweder gänzlich eingestellt oder werden inzwischen von externen Produktionsfirmen hergestellt. Der Zauberschlüssel hier ist, dass diese Ausgaben für extern produzierte Sendungen nicht mehr auf das Personalkonto gehen, sondern vor allem auf das Produktionskonto. Um das Personal müssen sich dann die externen Produktionsfirmen kümmern. Stichworte hier sind natürlich vor allem deutlich niedrigere Gehälter, prekäre Arbeitsverhältnisse, aber auch Synergieeffekte mit Produktionen für andere Sender.
- Selbstverständlich hat sich die Technik in den letzten Jahren verändert und zwar grundlegend. Damals wurde noch weitgehend analog produziert, die Digitalisierung war gerade am Anfang. Das hieß noch, dass auf Magnetband aufgezeichnet und auch geschnitten wurde und wir in Röhrenbildschirme glotzten. Alles Dinge, die sehr wartungsintensiv waren. Heute kommt der Film in der Kamera auf einen Chip, wird non-linear deutlich schneller geschnitten und vertont und auch der Produktionsablauf ist deutlich einfacher, da eben alle Signale und Konserven vollelektronisch vorliegen.
- Das heißt wiederum auch: Es gibt nicht nur weniger Technikpersonal, sondern weitgehend auch gänzlich anderes Personal. Meine ehemaligen Kollegen von früher (zumindest die älteren Kollegen, bei denen ich gelernt hatte) sind entweder im verdienten Ruhestand oder gingen früher über Vorruhestandregelungen aus dem Hause. Vorruhestand war und ist bei öffentlich-rechtlichen Sendern ein beliebtes Werkzeug, um Personalkosten zu senken, denn (was ich lange Zeit nicht verstand) viele der Planstellen der so in den Ruhestand gehenden Mitarbeiter werden nicht mehr durch neue Kollegen besetzt, sondern sind dank der Digitalisierung und des Wandels einfach nicht mehr notwendig.
The sweetening effects.
Witzig ist: Manche Sachen verändern sich nie. Zum Beispiel der 70er-Jahre-Charme der ZDF-Kantine. Immerhin sind die Tabletts nicht mehr orangefarben, sondern beige. Und: Es besteht Selbstbedienung, was mich vermutlich durch jeden alten Hasen sofort als sehr frühen ZDF-Kollegen hätte aufdecken lassen. Ich stand nämlich einige Sekunden vor den Futterschalen und wusste nicht, was hier eigentlich zu tun ist. Bargeld ist an der Kantinenkasse auch nicht mehr gern gesehen, dafür muss man sich an einem (allerdings extrem alt wirkenden) Automaten zuerst eine Gastkarte auffüllen.
Der Mitarbeiterin, die unsere Besuchergruppe dann auf die eineinhalbstündige Tour führte, offenbarte ich gleich zu Beginn, dass ich hier so eine Art „Anstandsbesuch“ machte. Das führte dann zu einem denkwürdigen Moment, denn während wir insgesamt 20 Leute da so im Regieraum standen, sie (übrigens sehr fachkundig und freundlich) erklärte, ich mit meinen eigenen Blicken auf die Technik abschweifte, gab sie mir kurzerhand das Wort – ich könne doch als ehemaliger Kamerakollege zu den Erklärungen zum Regieraum sicher auch noch etwas hinzufügen. Bei dem Running Gag blieben wir dann die ganze Führung über bei jeder Station … „Haben Sie noch etwas hinzuzufügen?“ Erstaunlich, was ich noch alles weiß.
Geheilt?
Ich hatte mich schon darauf eingestellt, dass die Antwort, ob diese Sehnsucht noch im Bauch ist, erst nach einigen Wochen zu beantworten ist. Die Antwort scheint zu lauten: Geheilt. Ich denke schon immer wieder gern an die Fernsehzeiten zurück, aber dort arbeiten wollte ich jetzt nicht mehr dort. Das grundlegende Handwerk vergisst man offensichtlich tatsächlich nicht, aber es reizt mich auch nicht mehr so, dass ich jetzt alles stehen und liegen lassen würde dafür.
Klar ist auch, dass diese Entscheidung auch viel mit meiner Selbstständigkeit zu tun hat, in der mir dann dank Bloggen und jetzt PF-BITS eine Menge des Handwerks zugute kommt, was ich beim ZDF gelernt habe. Dass ich sehr kritisch sein kann und auf einfach dahergeplapperte Meinungen recht allergisch reagiere und lieber selbst nochmal recherchiere – das ist halt ein Überbleibsel aus dieser Zeit, die ich aber sicher nicht vermissen mag. Diese Erfahrungen dann wiederum in eine tägliche Arbeit hineinpacken zu können, verschafft dann doch ein Stück Erfüllung.
Der Bonus.
Da ist da noch eine Geschichte, die auch nicht so viele kennen und mit der obigen Sehnsucht zu tun hat. Ende 1999 war ich beruflich ziemlich frustriert, was mehrere Gründe hatte. Falscher Arbeitgeber, völlige Überlastung, sicher auch Greenhornigkeit meinerseits, in einem Bürojob sich den dortigen Regularien hinzugeben. Ich war, so wie Kapitän Schwandt, kurz davor, den Bettel hinzuschmeißen und mich sofort wieder als freier Kameraassistent beim ZDF zu melden.
Jedenfalls fuhr ich eines morgens wieder einmal echt frustriert morgens zur Arbeit und der Weg dorthin führte mich unter einer Bahnbrücke hindurch. Und, ihr könnt es mir nun glauben oder nicht: Genau zu diesem Zeitpunkt fuhr ein Zug über diese Brücke, genau in meinem Blickfeld. Gezogen tatsächlich von der Lokomotive mit der Kennung 120 151-6.
Ich hatte dann 1999 tatsächlich nach zwei Monaten den Arbeitsplatz gewechselt, aber nicht auf den Bauch und auf das Zeichen auf der Bahnbrücke gehört. 😉
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