Als U2-Sympathisant hat es mir gerade etwas die Socken ausgezogen. Nun, man ist es inzwischen gewohnt, dass Bono seinen Zweitjob als Messias-Novize gelegentlich schrill führt. Man kann nämlich sehr schnell zur Schlussfolgerung kommen, dass diese Art des Aufrüttelns zwar sehr publikumswirksam ist, Mitleid aber selten zur einer wirklichen gesellschaftlichen Änderung führt. Sich nur rote Schuhe oder rote Kreditkarten zu kaufen, mag schick sein und vielleicht kommen auch ein paar „RED“-Euro zusammen, die man in einer Charity-Aktion verteilen kann, aber morgen ist es auch schon wieder vergessen.
So fordert Bono doch tatsächlich unterm Strich eine Internet-Zensur. Also so etwas jedenfalls. Das hat er natürlich so nicht gesagt, er sagt es differenzierter, schön klingender:
A decade’s worth of music file-sharing and swiping has made clear that the people it hurts are the creators — in this case, the young, fledgling songwriters who can’t live off ticket and T-shirt sales like the least sympathetic among us — and the people this reverse Robin Hooding benefits are rich service providers, whose swollen profits perfectly mirror the lost receipts of the music business.
We’re the post office, they tell us; who knows what’s in the brown-paper packages? But we know from America’s noble effort to stop child pornography, not to mention China’s ignoble effort to suppress online dissent, that it’s perfectly possible to track content. Perhaps movie moguls will succeed where musicians and their moguls have failed so far, and rally America to defend the most creative economy in the world, where music, film, TV and video games help to account for nearly 4 percent of gross domestic product. Note to self: Don’t get over-rewarded rock stars on this bully pulpit, or famous actors; find the next Cole Porter, if he/she hasn’t already left to write jingles.
—- Bono in „Ten for the next Ten“ der NY Times
Also nur ein bisschen Zensur. Etwas HADOPI hier, ein kleinwenig löschen da und schon geht es allen gut? Den „reichen Internet Service Providern“ etwas in den Hintern treten und ihnen sagen, dass nicht nur sie reich werden sollen, sondern auch diejenigen, deren Inhalte durch ihre Leitungen wandern? Aber natürlich, so schickt Bono gleich hinterher, natürlich niemals so, dass es aussieht, wie in China, nicht?
Bono, das war ein Kalter. Ein ganz Kalter. Sicherlich haben wir alle Verständnis dafür, dass sich nicht jedes Album so gut verkauft, wie ein U2-Album, selbst wenn es, wie beispielsweise die letzten zwei U2-Alben, eher mittelmäßig innovative Alben sind und das U2-Merchandising mit zu der teuersten Fanfolklore gehört, die man sich leisten kann. Wenn am Ende nur dabei herauskommt, dass der Protagonist vor lauter Messiastum den eigenen Galgen nicht mehr sieht, dann wird es ein Problem. Das Feuer, das einen wärmt, kann einen auch ganz schnell verbrennen. Und zumindest ich, der dieses Jahr mal eben rund 700 Euro für den Bohei um zwei U2-Konzerte bezahlt hat und eben auch bei einem Internet Service Provider arbeitet, nehme solche Äußerungen mit einer gewissen Abscheu zur Kenntnis. Das Internet ist jedenfalls nicht das Problem, dass ungerechte und jahrzehntelang gepflegte Geldverteilungsmaschinen nicht mehr funktionieren.
Dieses Geschwätz von wegen „kleinere Bands hatten in der Welt des Internets keine Daseinsberechtigung“, ist so alt wie falsch und wird eigentlich jeden Tag nur noch falscher. Gerade durch das Web 2.0, gerade durch die immensen Möglichkeiten der Selbstvermarktung, gerade durch die Möglichkeiten, innerhalb kürzester Zeit mit innovativer Kunst eine globale Welle erzeugen zu können und gerade durch die phantastischen Möglichkeiten, sofort mit der Monetarisierung über Musikstores beginnen zu können, gibt es gerade für kleine Bands ganz andere Möglichkeiten, die die klassische Musikindustrie nie geboten hat. Nicht, weil sie es hätte nicht bieten können, sondern weil die Musikindustrie lange Zeit ihre arroganten Selektionen eher dazu genutzt hat, Macht darüber auszuüben, was nächstes Jahr als ganz große Nummer aufgehängt wird und was nicht.
Und meine Prognose: Das wird auch in Zukunft für die Musikindustrie nicht besser. Schon heute lachen wir uns über die Talentshows den Hintern ab, die letztendlich genau das darstellen, wie Musikindustrie früher funktionierte. Wir lernen aber auch, dass eine weltweite Beachtung über YouTube & Co. auch sehr schnell ohne Musikindustrie gehen kann. Und auch im Bereich der Musik funktioniert der Long Tail mit Sicherheit.
[via Heise.de]
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