Ich muss schon wirklich sehr lange zurückdenken, wenn ich mich daran erinnern will, wann ich „Wetten, dass..?“ das letzte Mal wirklich in voller Länge angeschaut habe. Das muss irgendwann in den Neunzigern gewesen sein. Heute war eine Ausnahme, ich habe kurzfristig tatsächlich Termine sausen lassen, die das überschnitten hätten. Aber es musste sein, mein „interner Besim“ sagte mir, dass „Wetten, dass..?“ heute anzuschauen sei. Weil ein guter Freund heute Abschied feiert.
Vor einem Jahr habe ich einmal über das „Thomas-Gottschalk-Syndrom“ gebloggt. Dieses von mir frei so benannte Syndrom, das eigentlich ja gar keine Krankheit ist, habe ich als Überbegriff für ein Phänomen genommen, das in unserer Medienwelt auftritt: Als Zuschauer entwickelt man zu einem Prominenten – wenn man ihn gut leiden mag – ein seltsames Gefühl der Zuneigung und Freundschaft. Man hat das Gefühl, den Menschen gut zu kennen, er ist pünktlich, immer freundlich, gut zur Familie, unterhaltsam, spannend und doch etwas durchtrieben. Und obwohl wir fast schon glauben, ihn so gut zu kennen zu, kennt er uns nicht. Er unterhält uns nach dem One-to-many-Prinzip, absolut anonym. Vor der Kamera ist er, hinter der Kamera zig Millionen Menschen und die allerwenigsten dieser Menschen kennen ihn persönlich. Dennoch, für die meisten Menschen ist es „der Thommy“. Ein guter Freund des Hauses, der bei vielen Menschen einmal im Monat eintreten darf und zwei, drei Stunden Frohsinn mitbringt. Dem aber sicherlich auch genügend Menschen sofort und selbstlos bei einer Autopanne helfen würde.
Das besondere am Menschen Thomas Gottschalk ist, dass er nur bedingt ein guter Schauspieler ist. Gottschalk ist Gottschalk und „Wetten, dass..?“ lebte immer davon, dass es eine sehr authentische Show um die Idee des Kräftemessens ist. Sehr schwer vorstellbar, dass in so einer Show jemand persönlich verulkt, wissentlich um seinen Sieg gebracht, denunziert, betrogen oder gedemütigt wird. Diese Grundregeln des Anstandes verkörpert Thomas Gottschalk wie kein anderer und arbeitet auch genau so. Das Verstellen ist nicht sein Ding und wenn schon verstellt werden muss, dann bitteschön so überzeichnet, dass es als Klamauk ausdrücklichst gekennzeichnet ist. Eine Art und Weise der Unterhaltung, wie ich es nur von so Menschen wie Hans Rosenthal, Peter Alexander, Frank Elstner, Carmen Nebel und auch vom einst leider viel gescholtenen Wolfgang Lippert nachhaltig kenne.
Wenn ein Freund einen Abschied feiert, geht man hin und verabschiedet ihn. Und wenn man so einen Abschied einer Person feiert, feiert man gleichzeitig auch immer einen eigenen Abschied von dieser Person. Jeder hat da seine eigenen Erinnerungen, nach 23 Jahren Gottschalksche „Wetten, dass..?“-Fernsehunterhaltung ist bei mir als 36 Jahre alter Mensch natürlich das Gefühl präsent, dass ein Stück Kindheit endet, denn auch ich habe in meiner Schulzeit montags an Gesprächen über unglaubliche Wetten teilgenommen. Später auch in der Berufsschule, auch bei der Arbeit (und ironischerweise am kontroversesten in meiner Fernsehzeit). Alles so wie der Rest der Republik ebenfalls.
Der größere Schmerz, den ich bei diesem Abschied jedoch empfinde, ist ein Verlust meiner Fernsehwelt, wie ich sie mal beruflich kennenlernte. Die drei Jahre Fernsehen zwischen 1995 und 1998, die ich als Kameraassistent begehen durfte, waren noch „alte“ Fernsehwelt, die sich schon damals nach und nach verabschiedete. Ich gebe zu, dass ich nach dieser Fernsehzeit meinen Spaß an Fernsehunterhaltung immer stärker verlor und so Juwelen wie „Wetten, dass..?“ eine Zeitlang kaum ertragen konnte, weil sie mich so an meine unbeschwerte Fernsehzeit in meiner Kindheit und an meine Fernsehzeit selbst so erinnerten. Das kann man kaum erklären, so abstrus muss sich das anhören: Kein Fernsehen schauen wollen, weil es nicht unterhält, sondern unangenehm belastet. Und ich rede da gar nicht von den wirklich verabscheuungswürdigen Formaten aus dem Privatfernsehen, das ich gänzlich nicht schaue.
Wenn man einmal beim Fernsehen gearbeitet hat und gesehen hat, wie Show produziert wird, geht viel Illusion kaputt, die man vorher noch hatte. Ich glaube, dass ein Großteil meines gepflegten Zynismus auch da herrührt. Show ist Kampf, kostet irrsinnig viel Aufwand, Geld und Nerven und dieser Kampf muss geführt werden, gelegentlich auch ohne klare Zeilführung. Wenn dann ein Thomas Gottschalk das dennoch so gut und freundlich verpackt, dass man ihn eigentlich auch gern mal persönlich im Wohnzimmer empfangen würde, dann weiß man, was echte Fernsehunterhaltung ist. Und wenn so einer sein fast schon angestammtes Boot verlässt, dann verstehe ich sehr, sehr gut, was für Klöße viele Menschen gestern um kurz nach 23 Uhr im Hals und Tränen in den Augen hatten.
Das war pure Magie im Fernsehen. Davon wird es nicht mehr viel geben.
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