Der Super-GAU für Sony Computer Entertainment.

Wie fangen wir an? Mit „Pech gehabt?“ Oder mit „Das hat ja so kommen müssen?“ Oder einfach mit „Stümper“? Ich glaube, es passt alles, auch Tiernamen für die Verantwortlichen. Denn alles, was sich gestern schon als gewaltige Nachrichtenlawine in Sachen PS3-Hack ankündigte und heute in allen Nachrichtenkanälen als Tsunami brandet, war absehbar.

Der PS3-Hack.

Dass sich im PlayStation Network etwas wirklich schlimmes zusammenbraut, konnten die alten PlayStation-Hasen ja schon letzte Woche erahnen. Dass es an der fehlenden Performance liegen könnte, weshalb Sony Computer Entertainment das Network vorübergehend gänzlich herunterfährt, war kaum vorstellbar – die Performance prellt ja schon seit vielen Monaten so dermaßen, dass es für Gelegenheitsspieler keinen Spaß mehr macht, die PlayStation einzuschalten, weil die bis dahin notwendigen Updates erst einmal dafür sorgen, dass die nächste halbe Stunde (bestenfalls) Updaten angesagt ist. Und das dauert vor allem deshalb so lange, weil die Downloads mit ISDN-artigen Geschwindigkeiten stattfinden.

Was sich aber gestern und heute so langsam als Fakten zum Hack herauskristallisiert, toppt wirklich alles: Möglicherweise die gesamte User-Datenbank, inklusive Passwörter, Kaufhistorie und vielleicht sogar Zahlungsinformationen sind mal eben so abgezogen worden. Im Internet. Da draußen, wo inzwischen jeder noch so verrückte Web-Entwickler gelernt hat, dass man sensible Informationen lieber zehn mal verschlüsselt, Passwörter niemals in Klartext ablegt und es noch nicht mal andenkt, den Download von kompletten Benutzerdatenbanken zu ermöglichen. Es dann auch noch nicht mal zu merken, dass möglicherweise Daten entwendet wurden. Yeah. Es würde mich interessieren, was den Mitarbeiter  erwartet, der das hausintern bei Sony Computer Entertainment zu verantworten hat.

Was aber vor allem im PlayStation-Imperium kaputtgegangen ist, lässt sich nicht mit Zahlen beziffern. Denn das Imperium selbst ist zusammengefallen wie ein Kartenhaus und es wird sich, so prophetisch will ich mal sein, eher die Frage stellen, ob der jetzige GAU so teuer wird, dass sich Sony langfristig aus dem Konsolenmarkt eher verabschiedet, als so weiterwurstelt, wie bisher.

Geohot und die PS3.

Geohot, mit (mutmaßlich) richtigem Namen George Hotz, ist ein junger Mensch in den USA, der sich mit moderner Unterhaltungselektronik mehr beschäftigt, als der normale Nutzer, um es einmal freundlich einzuleiten. Manche sehen in Geohot einen gefährlichen Hacker, der Betriebssysteme von Unterhaltungselektronik knackt, um daraus Zaster zu machen und manche sehen in Geohot ein verspieltes Kind mit einem Tick zu viel Bedarf nach Bestätigung durch Fans und Verehrer. Vermutlich liegt irgendwo in der Mitte die Wahrheit, höchstwahrscheinlich ist aber die implizierte Gefährlichkeit von Geohot völlig übertrieben, weil Sendungsbewusstsein im Internet keine Frage der Qualität mehr ist.

Vielen bekannt ist Geohot durch das Jailbreaking des iPhone-Betriebssystems, deren Szene er jahrelang mit Begeisterung anführte. „Anführen“ ist auch hier vielleicht der falsche Begriff, denn eher war er derjenige, der auf spielerische Weise vermutlich während Mittagessen und Nachtisch das iPhone-Betriebssystem knackte, kurz am Nachmittag ein Progrämmchen dazu schrieb und am Abend dann über die Szene verteilen ließ. Dass er vornehmlich auf Zaster schielt, entkräftet genau diese „antikapitalistische“ Vorgehensweise. Dass er sich vor ziemlich genau einem Jahr öffentlich von der iPhone-Welt vorübergehend verabschiedete und sich dem Knacken des PS3-Betriebssystems widmen wollte, konnte daher auch nur die Laien wirklich erschüttern, denn die Frage, die sich hier stellte, war nicht die, ob er die PS3 geknackt bekommen würde, sondern ob er es noch bis zum Abendessen schafft.

Der Angriffspunkt war ausgerechnet der Punkt, auf den Sony bei der PS3 einst sehr stolz war: Die Fähigkeit der PS3, in einer virtuellen Box ein Linux zu fahren und die PS3 als Nebenprodukt als eine Art „Supercomputer“ zu positionieren. Das war natürlich in allen Belangen völlig übertrieben, denn das Linux ließ keinen direkten Zugriff auf die Subprozessoren zu und auch nicht auf die grafischen Prozessoren. Das Linux lief dementsprechend lahm auf einer eigentlich ganz flotten Kiste, die aber mit 256 Megabyte RAM, die sich spielekonsolen-like nicht erweitern lassen, schon im Jahr 2007 nicht zukunftsfähig war. Zusammen mit dem Stromverbrauch von weit über 150 Watt im Normalbetrieb (ein normaler PC begnügt sich mit 70 bis 100 Watt) war die Linux-Fähigkeit der PS3 ein Marketing-Gag, mehr nicht.

Geohot (und übrigens auch andere Hacker) loteten die virtuelle Box der PS3 aus und fanden nach und nach Möglichkeiten, über Schlampigkeiten in der virtuellen Maschine auf die PS3 zuzugreifen. Und das ist fatal in einer Welt, die der Hersteller abgeschlossen sehen will, denn Spielekonsolen leben vom Paradigma der Unverfälschbarkeit, der Abgeschlossenheit und der daraus implizierten Verbindlichkeit. Zwar muss ein Betreiber einer solch abgeschlossenen Umgebung immer damit rechnen, dass sich auch Hacker für die Innereien interessieren, aber man will das eben nicht. Die Frage ist, wie man als Hersteller auf dieses Phänomen reagiert: Akzeptieren und Vorkehrungen treffen, dass das Unfassbare (nämlich das Hacken) unvermeidlich ist oder so tun, als wäre alles sicher und schlussendlich der Holzhammer die bessere Wahl ist?

Sony Computer Entertainment und das Selbstverständnis.

Die Sub-Überschrift lässt es schon anklingen – Sony Computer Entertainment wählte zunächst die zweite Variante. Sie entfernten kurzerhand die Möglichkeit, Linux auf der PS3 nutzen zu können. Und sie schickten Anwälte, um Geohot zu verklagen. Das mag aus juristischer Sicht das Richtige gewesen zu sein, aber wer sich auch nur eine halbe Stunde mit der Ethik des Hackens beschäftigt und wer sich dann vielleicht auch noch mal kurz angeschaut hätte, wie Apple das Thema Jailbreaking öffentlich abhandelt (nämlich gar nicht) und sich vielleicht auch noch angeschaut hätte, wie Microsoft darauf reagierte, als Geohot einst erklärte, dass er Windows Mobile nun mal antesten wolle (Microsoft spendierte sogar Gerätschaften und kündigte an, dass man von der Arbeit von Geohot lernen wolle), dann hätte man von Anfang an merken müssen, dass Anwälte nicht das richtige Mittel der Wahl sind.

Das Problem beim Hacken und der Reaktion darauf sind nämlich nicht die Hacker selbst, sondern deren Fans und Bewunderer. Das sind nämlich eben nicht einfach nur die dickbäuchigen, weißhäutigen, asexuellen Autisten aus dem Klischee, sondern das sind Leute wie du oder ich mit den unterschiedlichsten Begründungen, warum sie Hacken gut finden, tolerieren oder zumindest nicht so schlecht finden, als dass man mit Kanonen auf Spatzen schießen müsste. Der Versuch, Geohot mit millionenschweren Klagen zu treffen, schlug daher genau in dem Moment fehl, als diese Vorgehensweise von Sony verkündet wurde. Von einem Unternehmen, dass als Hersteller von Spielekonsolen „Subversivität“ als zentrale Unternehmenseigenschaft suggerieren muss, um überhaupt als ernstzunehmender Hersteller anerkannt zu werden.

Das Echo war dann dementsprechend: Selbst diejenigen, die von Hacken und dessen Ethik keine Ahnung haben, die Geohot nicht kannten und gar nicht so recht wissen, was da in ihrer Playstation passiert, waren von der mehr oder weniger wahren Epik, dass hier ein milliardenschwerer Konzern einen kleinen Jungen abstechen will, der nichts anderes getan hat, als Programmierfehler zu finden, greif- und erschütterbar. Und damit nahm das Elend für Sony Computer Entertainment und für seinen Mutterkonzern seinen Lauf. Die Details, wer wann wie etwas dazu beigetragen hat, dass es zum jetzigen GAU gekommen ist, ist dabei ironischerweise völlig uninteressant. Und es ist auch völlig unwichtig geworden, dass sich in der Zwischenzeit Sony Computer Entertainment – aus welchen Gründen auch immer – mit George Hotz darüber geeinigt hat, dass man den Burschen nicht finanziell erledigt, man lieber so tut, als ob alles wieder heile ist und darüber dann auch bemerkenswert schlecht bloggt. Denn da war der Karren schon längst polternd auf dem Weg nach unten.

Sind wir gut oder sind wir gut?

Ein großer Fehler ist es, ich habe es schon anklingen lassen, sich beim Vermitteln einer „neuen Welt“ auf die Kampfmittel der „alten Welt“ zu beschränken. Das gilt für alles: Marketing, Verkauf, Support, Rechtliches. Wenn man sich den Erfolg großer Computerspiele anschaut, dann sieht man durchweg ein Stilmittel: Wir hören dir zu! Du, der Computerspieler, du willst spielen und in eine andere Welt abtauchen und wir machen das möglich – mit dir zusammen sind wir stark! Und so weiter und so fort. Sicherlich alles viel Marketing-Blabla, das einen sehr an so Geschichten wie The Matrix erinnert, aber Computerspielen hat – gerade für Erwachsene – sehr viel damit zu tun, etwas anderes zu tun, als zu Joggen oder Kaninchen zu züchten. Wenn ich an der Spielekonsole spiele, bin ich schon für den Familienbetrieb nicht mehr zu gebrauchen und gelte da als Verrückter – es wäre schön, wenn der Hersteller des Spieles und gern auch der Spielekonsole das berücksichtigt und sei es nur in der Vermittlung einer Illusion, dass man dazugehört. Das eine gehört untrennbar zum anderen dazu.

Schaue ich mir die XBox oder die Wii an, dann schaue ich da in zwei Spielekonsolenwelten hinein, die es beide begriffen haben. Sie lassen Raum für Individualität, sie lassen die Benutzer Avatare erstellen, sie binden diese Welt mehr oder weniger nahtlos in die Computerspiele. Man kommt in eine Welt hinein, in der man willkommen ist, weil man gleichgesinnt zu sein scheint. Schafft man diese Illusion, ist das die Basis. Schafft man es nicht, bleibt es das, was Atari & Co. letztendlich einmal den Kopf gekostet hat. Sony Computer Entertainment hat es bisher nicht geschafft, selbst nicht mit dem sagenumwobenen PlayStation Home, einem Second-Life-Verschnitt, das zu einer Zeit erfunden wurde, als man noch glaubte, man müsse einfach eine 3D-Welt machen, um Community zu schaffen.

Am bedauerlichsten ist der Umstand, dass dies ausgerechnet Sony passiert, mit der PlayStation. Da stecken 16 Jahre Konsolenerfahrung dahinter, die PlayStation ist Begründerin der modernen Spielekonsolenwelt und die Hardware hat zu ihrer jeweiligen Veröffentlichung immer Maßstäbe gesetzt. Man hatte immer nur das Gefühl, dass das Management nicht in der Gegenwart angekommen ist. Und jetzt den finalen Beweis dafür. Vielleicht wird es ja nun besser. Vielleicht.


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Kommentare

3 Antworten zu „Der Super-GAU für Sony Computer Entertainment.“

  1. Avatar von le D
    le D

    Schade, dass Du den deutschen Aspekt nicht mit einbeziehst: die drei einstweiligen Verfügungung durch Sony gegen Graf Chokolo…

  2. […] 17. Mai 2011 | Veröffentlicht in GamingWelt Man hätte erwarten können, dass Sony nach dem Einbruch ins PlayStation Network sich in den vier Wochen, in denen das Netzwerk vollständig abgeschaltet ruhte, auch noch etwas […]

  3. […] eines Shitstorms befindet, wie eben beim PS3-Hack und der, sagen wir es mal freundlich, etwas ungelenken Art und Weise des Deeskalationsmanagements. Die hackende und vor allem lamende Basis macht sich nun mehr oder weniger einen Spaß daraus, […]

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