Bundeskanzlerin Angela Merkel hat auf dem Government Leaders Forum in Europe am 22. Januar 2008 in Berlin eine zugegebenermaßen recht interessante These aufgestellt. Das Internet seit es gewesen, dass im Herbst 1989 die Mauer zwischen der DDR und der Bundesrepublik zu Fall gebracht habe. Der Mauerfall sei nämlich das „Produkt der kulturellen Revolution durch die Informations- und Telekommunikationstechnologie“.
Wäre schön, wenn das so gewesen wäre, ist aber leider wunderschön an den Haaren herbeigezogen und gequirlter Unsinn.
Das Internet war anno 1989 sehr weitgehend noch eine rein wissenschaftliche Veranstaltung. Das EUNet, später einer der ersten kommerziellen Internet Provider in Deutschland und zu diesem Zeitpunkt noch ein Projekt der Universität Dortmund, hatte gerade mal rund 200 Kunden und eine sagenhafte Standleitungsbandbreite von 19,2 Kilobit pro Sekunde. In der DDR gab es überhaupt keine landesweiten Netzwerke, die mit TCP/IP arbeiteten, sondern lediglich einige kleinere Netze, die auf einzelne Institutionen beschränkt waren. Die einzige Standleitung in den Westen lief zwischen der Humboldt-Universität in Ost- und der Freien Universität in West-Berlin. Und auch darauf lief X.25.
Einer der wenigen, wirklich verbrieften, historischen Zeugnisse ist der erste Thread über den Mauerfall im Usenet, übrigens ein wirklich sehr ergreifendes Stück Zeitgeschichte.
Das stärkste Argument gegen Merkels These ist aber, dass die kulturelle Revolution durch das Internet – wenn man das in der kurzen Lebenszeit des Internet tatsächlich so schon in den Mund nehmen mag – erst mit dem Aufkommen des World Wide Web begann – und das hat Tim Berners-Lee am CERN in Genf erst 1991 erfunden.
Ich hätte eigentlich von einer Bundeskanzlerin und einer Wissenschaftlerin etwas bessere Geschichtsrhethorik erwartet.
[Input via Golem.de]
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